Über das Projekt
Über das Projekt
Sprachliche Höflichkeit bei Jugendlichen
Empirische Untersuchungen von Gebrauchs- und Verständnisweisen im Schulalter
Zur Aktualität der Fragestellung
Höflichkeit und mehr noch Unhöflichkeit ist seit einigen Jahren ein aktuelles und zunehmend brisantes Thema in öffentlichen Debatten, in der Ratgeberliteratur und im Kontext von Bildung und Unterricht. Die Aktualisierungen der Reflexionen über Höflichkeit in alltags- und bildungssprachlichen Diskursen haben einen Bedarf neuer Vergewisserungen über Verhaltensstandards ausgelöst und zu Rufen nach „Kopfnoten“ und einem „Knigge für junge Leute von heute“ (Griesbeck/Weinold 2004) sind laut geworden.
Neue Herausforderungen für ein höfliches Benehmen und einen ‚guten Ton‘ stellen sich mit gesellschaftlichen, v.a. medialen Entwicklungen eines neuen ‚Grobianismus‘ in traditionellen Fernsehformaten, Kultfilmen (Fack ju Göthe), Rundfunksendungen zur ‚Kultur der Unhöflichkeit‘ (Deutschlandfunk 24.01.2014), Presseberichten über Verbote von Schimpfwörtern an Schulen (z.B. Westfalen Post vom 28.05.2014). Auch die Netikette-Diskussionen in den neuen Medien verweist auf die Aktualität der Fragestellung. Weniger spektakuläre Entwicklungen zunehmender Multikulturalität und kulturdifferenter Verhaltensnormen gerade auch in Schulklassen sowie der Internationalisierung in vielen Lebensbereichen (Ferienreisen, Schüleraustausch u.a.m) unterstreichen die gesellschaftliche Relevanz solcher Diskussionen.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Projekts an der Schnittstelle von linguistischer Höflichkeits- und Jugendsprachforschung ist die Erarbeitung ausgewählter Gebrauchs- und Verständnisweisen sprachlicher Höflichkeit und Unhöflichkeit bei Jugendlichen im Schulalter. Es wird die Hypothese verfolgt, dass Jugendliche über verschiedene Höflichkeitsstile verfügen, die situations- und adressatenorientiert variieren und sich in jugendtypischer Weise von Formen konventioneller Höflichkeit unterscheiden. Insbesondere interessieren uns die bislang von der linguistischen Jugend- wie von der Höflichkeitsforschung vernachlässigten soziolinguistischen Differenzierungen zwischen Altersstufen, Schulformen und Geschlechtszugehörigkeit von Jugendlichen mit Deutsch als Mutter- und als Zweitsprache.
Die Befunde auf der pragmatischen Ebene des Sprachgebrauchs (Spontandatenanalysen) wie auf der metapragmatischen Ebene der Spracheinstellungen (Fragebögen für Schüler und Lehrkräfte) bestätigen die Annahmen nachdrücklich. Jugendliche verfügen über verschiedene Höflichkeitsstile, die situations- und adressatenspezifisch variieren, was sich insbesondere in den verschiedenen überprüften Gesprächstypen der Peerkommunikation und der Unterrichtskommunikation zeigt.
- Es mag erstaunen, dass Jugendliche der Kategorie der Höflichkeit – entgegen der öffentlichen Meinung eine besondere Bedeutung zuschreiben, und zwar mit signifikanten Geschlechts- und Altersdifferenzen.
- Ebenso überraschend sind Befunde zur bislang in der Forschung kaum beachteten positiven Höflichkeit, was insbesondere die Praktiken von Lob und Kompliment betrifft, und zwar auch in Peergruppen-Gesprächen in Freizeit und Schule.
- Bei den Befunden zur Unhöflichkeit ist generell eine starke Adressatenorientierung wirksam: In der intragenerationellen Kommunikation werden z.B. Beleidigungen und Schimpfwörter oft mit spaßhafter Modalität der mock impoliteness, der kooperativen Unhöflichkeit verbunden.
Die Vermeidung direkter Formen von Kritik erscheint schließlich als besonderes Kennzeichen des Umgangs mit Höflichkeit bei Jugendlichen. Gleichwohl können jugendtypische Merkmale, v.a. der mock impoliteness, als Verstöße gegen konventionelle Höflichkeitsformen verstanden werden und zu intergenerationellen Friktionen führen.
Ob sich der saloppere und informellere Umgang mit sprachlicher Höflichkeit bei Jugendlichen im Schulalter im gesamtgesellschaftlichen Gebrauch als prestigebesetzter Höflichkeitsstil verbreiten wird, muss der künftigen Erforschung vorbehalten bleiben. Die Gewichtung der Spaßmodalität wird möglicherweise als Jugendspezifikum im Umgang mit sprachlicher (Un)Höflichkeit Bestand haben.