Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften

Ziele des Projekts

Ziel des Projekts ist die Erarbeitung ausgewählter Gebrauchs- und Verständnisweisen sprachlicher Höflichkeit und Unhöflichkeit bei Jugendlichen im Schulalter. Dabei wird die Hypothese verfolgt, dass Jugendliche über verschiedene Höflichkeitsstile verfügen, die situations- und adressatenorientiert variieren und sich in jugendtypischer Weise von Formen konventioneller Höflichkeit unterscheiden.

Das Projekt soll zur Klärung folgender Fragen beitragen:

  • Sind sprachliche Kategorien wie Höflichkeit und Unhöflichkeit im Sprachbewusstsein der Jugendlichen präsent, welche Bedeutung wird den Kategorien zugeschrieben, werden sie positiv oder negativ bewertet?
  • Spielen sprachliche Höflichkeit und Unhöflichkeit für Jugendliche eine Rolle im Umgang mit Erwachsenen (Eltern, Lehrkräfte) und mit Gleichaltrigen? Wie höflich/unhöflich schätzen die Jugendlichen Eltern, Lehrkräfte, ihre Freunde und sich selbst ein? Wie nehmen Lehrkräfte dies wahr?
  • Welche sprachlichen (und zum Teil auch nichtsprachlichen) Ausdrucksformen haben Jugendliche für ausgewählte höflichkeitsrelevante Sprechhandlungen, z.B. grüßen/verabschieden, beleidigen, jeweils in adressatentypischer Differenzierung im Umgang mit Erwachsenen und im Umgang mit anderen Jugendlichen?
  • Wie agieren und reagieren Jugendliche in kritischen Kommunikationssituationen, die (mehr oder minder) höflichen Sprachgebrauch auslösen können, z.B. sich entschuldigen, auffordern, ablehnen, kritisieren/komplimentieren jeweils mit adressatentypischer Differenzierung?
  • Unterscheiden sich die Befunde von den in der deutschen Gegenwartssprache üblichen Ausdrucksweisen, wie sie z.B. von Lehrkräften erwartet, in ausgewählten Stilistiken (z.B. Duden-Stilwörterbuch 2010) beschrieben und mittels korpusanalytischer Verfahren erfasst werden?

Die Befunde versprechen Aufschluss über einen möglicherweise veränderten, salopperen und informelleren Umgang mit sprachlicher Höflichkeit bei Jugendlichen im Schulalter, und zwar was einzelne sprachliche Ausdrucksweisen und Sprechhandlungen sowie soziolinguistische Differenzierungen in ihrem Gebrauch betrifft:

  • Verfügen Jugendliche über ein unterschiedliches Repertoire von Ausdrucksformen sprachlicher Höflichkeit, je nach Adressaten (Gleichaltrige bzw. Erwachsene/Lehrkräfte) und situativen Kontexten (formell bzw. informell)?
  • Welche Ausdrucksweisen und Diskurspraktiken nutzen Jugendliche in Peergruppen-Situationen? Werden z.B. Ausdrucksweisen verwendet, die unter dem Aspekt der konventionellen Höflichkeit als unhöflich oder beleidigend gelten? Welche Ausdrucksweisen werden benutzt, um Respekt auszudrücken? Mit welchen Ausdrucksweisen wird positive wie negative Gesichts- und Beziehungsarbeit betrieben? Welche Rolle spielen die Modalitäten von Spiel/Spaß und Ernst?

Soziolinguistische Differenzen, über die derzeit nur Vermutungen diskutiert werden können, dürften besonders aufschlussreich sein:

  • Welche alters- und geschlechtstypischen Unterschiede sind feststellbar, verwenden ältere Jugendliche oder Schülerinnen mehr oder andere Formen konventioneller Höflichkeit als jüngere Jugendliche oder als die jeweiligen männlichen Altersgenossen? Sind Unterschiede, z. B. in den verbalen und nonverbalen Formen des Begrüßens und Verabschiedens, festzustellen, verwenden Schüler und Schülerinnen unterschiedliche Formen von Beleidigungen?
  • Welche Unterschiede in der Einschätzung und im Gebrauch sprachlicher Höflichkeit und Unhöflichkeit sind zwischen Jugendlichen in der Hauptschule und im Gymnasium zu erkennen, weisen z.B. Gymnasiasten mehr Formen konventionalisierter Höflichkeit auf, verwenden sie eher indirekte als direkte Formen, betreiben sie einen höheren kommunikativen Aufwand, z.B. verwenden sie komplexere syntaktische Strukturen als Hauptschüler – oder nicht?
  • Welche Unterschiede können zwischen Jugendlichen mit deutscher und nicht-deutscher Muttersprache festgestellt werden, spielen die Aufenthaltsdauer und der Grad der Beherrschung von Deutsch als Zweitsprache dabei eine Rolle, gibt es Anzeichen für kulturtypische Differenzen?

Aus den Befunden sollen Konsequenzen für die linguistische Höflichkeitsforschung wie für die Jugendsprachforschung gezogen werden, und zwar speziell im Hinblick auf die These einer soziokulturellen Differenzierung und eines Wandels konventionalisierter sprachlicher Umgangsformen, z.B. des Grüßens und Verabschiedens im Sinne einer möglichen Tendenz der Informalisierung durch saloppere Gruß- und Abschiedsformeln im Zusammenhang mit einer Zunahme nonverbaler Ausdrucksmittel.

Schließlich können die Befunde auch für didaktische Perspektiven für eine schulische Förderung sprachlicher Höflichkeit genutzt werden, vor allem für die Entwicklung von Lehrmaterialien und Unterrichtskonzepten zur Förderung sprachlicher Höflichkeit. Dies stellt insofern ein Desiderat dar, da nach einer kurzen Phase der Berücksichtigung des Themas in Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien in den 90er Jahren keine wesentlichen neuen Impulse mehr zu verzeichnen sind, und zwar weder in DaF- und DaZ-Lehrwerken (Neuland 2010) noch in Werken für Deutsch als Muttersprache.

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