Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften

Jugendliche im Gespräch: Forschungskonzepte, Methoden und Anwendungsfelder aus der Werkstatt der empirischen Sprachforschung

Projektworkshop vom 5. – 6. Oktober 2017 an der Bergischen Universität Wuppertal

Am 5. und 6. Oktober 2017 hat das Wuppertaler Projektteam unter der Leitung von Prof. Dr. Eva Neuland zu einem Workshop eingeladen, der vor allem empirische und methodische Fragestellungen im Kontext der Interaktionsforschung und Soziolinguistik verfolgt hat. Alle teilnehmenden Vertreter von Forschergruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz rückten Jugendliche in den Fokus ihrer Vorträge, welche sich in die drei Kontexte Schule, Freizeit oder Medien gruppierten. Über die zum Teil sehr unterschiedlichen methodisch-empirischen Zugriffe entwickelten sich lebhafte und anregende Diskussionen, die zuletzt für eine Methodenkombination und -komplementarität sprachen.

Angesichts immer wieder aufkommender öffentlicher Klagen zum Sprachverhalten Jugendlicher konnten im Workshop inhaltliche Befunde zusammengetragen werden, die durch empirisch gestützte Einblicke in jugendliche Interaktions- und Sprechweisen die Regel- und Musterhaftigkeit der mündlichen und schriftlichen Ausdrucksweisen in den verschiedenen sozialen Kontexten veranschaulichten.

In der Sektion zum schulischen Sprachgebrauch präsentierten Prof. Dr. Eva Neuland, Benjamin Könning und Elisa Wessels Ergebnisse zu jugendtypischen Formen der positiven Höflichkeit, und zwar des Komplimentierens, die anhand von Fragebogenerhebungen sowie Beobachtungen von unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Gesprächssituationen analysiert wurden. Dr. Katrin Hee (Köln) konnte mit ihren Analysen von jugendtypischem Sprachgebrauch in Gruppenarbeitsphasen zeigen, dass dieser oft zur Selbstinszenierung und als Identitätsmarker dient und nicht in direktem Zusammenhang mit mangelnden bildungs- bzw. standardsprachlichen Kompetenzen steht. Der Beitrag von Judith Kreuz (Zug) vermittelte Einblicke in ein Projekt zu argumentativen Fähigkeiten von Schülern der 6. Jahrgangsstufe. Insbesondere Formen argumentativer Ko-Konstruktionen spielten in ihren Beobachtungen zum sogenannten Robinson-Setting eine zentrale Rolle.

Mit einem Beitrag zum freizeitlichen Schreiben und den hiermit verbundenen metasprachlichen Reflexionen von Jugendlichen konnte auch Florian Busch (Hamburg) die kontext- und adressatensensitive Sprachverwendung seiner Probanden veranschaulichen, v.a. durch Beispiele aus dem Bereich der Interpunktion in der Chat- und Messenger-Kommunikation. Georg Oberdorfer (Graz) gewährte als Vertreter eines varietätenlinguistisch ausgerichteten Langzeitprojektes einen Einblick in aktuelle Entwicklungstendenzen der österreichischen Jugendsprache im ländlichen und städtischen Raum. Eine Forschungslücke im Bereich der Multimodalitätsforschung mittels Videografie wurde von Dr. Nils Bahlo und Stefanie Krain (Münster) konstatiert. Ebenso warf der Vortrag Fragen zu den von der Sprachforschung theoretisch wie empirisch bislang weniger beachteten Übergängen vom Jugend- zum Erwachsenalter im Rahmen der Postadoleszenz auf. Mit ethnolektalen Sprechweisen beschäftigte sich Prof. Dr. Norbert Dittmar (Berlin) in seinem Vortrag, der anhand von Fallbeispielen u.a. auf die besondere Relevanz der Prosodie als Element der Herstellung von Bedeutung im Gespräch hinwies, die in den beschriebenen Gesprächen unter Migrantenjugendlichen in einigen Fällen funktional relevanter erscheint als standardorientierte Syntax. Maria Pohle (Potsdam) richtete mit ihrem Vortrag den Blick auf die vorhandenen Registerkompetenzen (multi-)ethnolektaler Berliner Sprecher in verschiedenen schriftlichen wie mündlichen Erhebungssituationen.

Der Workshop wurde mit einem Schwerpunkt im Bereich computervermittelter Interaktion abgeschlossen. Prof. Dr. Carmen Spiegel und Dr. Daniel Gysin (Karlsruhe) präsentierten Beobachtungen zu multimodalen Aspekten der Gruppen-Chat-Kommunikation. Prof. Dr. Dorothee Meer (Bochum) regte dazu an, Hypermedien wie beispielsweise Youtube stärker im Hinblick auf ihre multimedialen Ausdrucksformen und deren Wechselwirkungen hin zu analysieren. So konnten z.B. Einblicke in Aspekte von Identitätskonstruktionen der Userinnen und User von Kommentarlisten der (bei Jugendlichen) populären Youtuberin/V-Logerin Dagi Bee gegeben werden.

Prof. Dr. Annemarie Saxalber (Bozen) und Prof. Dr. Joachim Gerdes (Genua) haben die Diskussionen vor dem Hintergrund eigener Forschungen mit ihren kritischen Wortbeiträge konstruktiv bereichert.

Mit dem Workshop ist es gelungen, dem in Öffentlichkeit und Medien immer wieder vorzufindenden Stereotyp von "der Jugendsprache" als Symptom für Sprachverfall empirisch fundierte Beobachtungen entgegenzusetzen. Es wurden Einblicke in die Registervielfalt, Kontextsensitivität und Funktionalität jugendlicher Sprechweisen in Schule, Medien und Freizeit präsentiert und Forschungsdesiderate aufgedeckt. Die methodischen Diskussionen veranschaulichten, dass sowohl eher qualitativ als auch eher quantitativ ausgerichtete Forschungsansätze Vorzüge wie Nachteile aufweisen, die durch Methodenkombinationen ausgeglichen werden können. Blinde Flecke, die durch ein empirisches Setting hervorgerufen sind, oder scheinbare Widersprüche, die sich bei der Auswertung verschiedener Datentypen ergeben, stellen für alle Forschergruppen anhaltende Herausforderungen dar, die im Hinblick auf das jeweilige Erkenntnisinteresse zu prüfen und abzuwägen sind. Die Organisation und Zusammensetzung des Workshops fand in Zielsetzung, Expertise und wissenschaftlichem Potential positive Resonanz bei den Teilnehmern; die Ergebnisse sollen im nächsten Jahr veröffentlicht werden.

 

Benjamin Könning, Elisa Wessels, Wuppertal

 

Programmflyer

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